Manchmal geht es auch ohne Gerichtsurteil

Fachrichtungswechsel nach Flucht ist ein neues Studium nach Abbruch des alten

Ahmad A. musste Anfang 2014 aus Syrien fliehen und konnte deshalb sein BWL-Studium nicht mehr abschließen. Nach Ankunft in Deutschland, Asylverfahren und Spracherwerb war er im Frühjahr 2020 so weit, dass er sein Studium in Deutschland fortsetzen wollte. Aber im Ruhrgebiet gab es in seinem Fach keinen Studienbeginn zum Sommersemester. Um überhaupt etwas zu tun, nutzte er die Pandemie-Situation mit Online-Lehre und schrieb sich an einer süddeutschen Hochschule im Fach Wirtschaftsingenieurwesen ein. Er musste aber feststellen, dass seine Technik-Kenntnisse für dieses Fach nicht ausreichten.

Nach diesem „Parksemester“ schrieb Ahmad sich zum Wintersemester 2020/21 an der Universität Duisburg-Essen in BWL ein und beantragte im November 2020 BAföG. Das Amt für Studienförderung forderte verschiedene Unterlagen nach, u.a. auch solche, die von Stellen der Uni auszustellen waren und deren Beschaffung sich unter Corona-Bedingungen als äußerst schwierig und zeitaufwändig erwies. Einige Zeit nachdem alle Unterlagen beisammen waren, schickte das BAföG-Amt im November 2021 – ein Jahr nach dem BAföG-Antrag – den Ablehnungsbescheid:

Nach acht Semestern Betriebswirtschaftslehre wechselten Sie zum Sommersemester 2020 zur Fachrichtung Bachelor Wirtschaftsingenieurwesen Elektrotechnik und Informationstechnik an der Universität Konstanz. Zum Wintersemester 2020/21 wechselten Sie zurück zur Fachrichtung Bachelor Betriebswirtschaftslehre.

Bei einem Fachrichtungswechsel, der nicht bis zum Beginn des 4. Fachsemesters erfolgt, sei ein „unabweisbarer Grund“ erforderlich. (So steht es im Gesetz, wenn auch sehr schwer verständlich formuliert – § 7 Abs. 3 BAföG).

Gemäß Textziffer 7.3.19 BAföG-Verwaltungsvorschrift ist ein unabweisbarer Grund nur dann anzunehmen, wenn die Ausbildung in Deutschland nicht in einer der bisherigen Ausbildung ggf. auch nur in Teilen vergleichbaren Ausbildung fortgesetzt werden kann. Sie hätten auch in Deutschland direkt weiterhin in der bisherigen Fachrichtung Bachelor Betriebswirtschaftslehre studieren können. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 BAföG sind damit bei Ihnen insgesamt nicht erfüllt und Ihr Antrag war daher abzulehnen.

Nachdem Ahmad sich bei INTEZ gemeldet hatte, erhielt er Unterstützung bei der Formulierung seines Widerspruchs gegen den Ablehnungsbescheid. Hilfreich war dabei, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, das im Falle einer Klage zuständig gewesen wäre, kurz zuvor einen  sehr ähnlichen Fall eines Studierenden aus Syrien entschieden hatte:

Die Aufgabe des Studiums im Ausland zwecks Flucht vor einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG stellt sich grundsätzlich als Abbruch dar und nicht als Fachrichtungswechsel. …
Der Kläger hat sein Studium an der U.-Universität aus unabweisbarem Grund im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG abgebrochen. …
Auch wenn der Auszubildende seinen Entschluss der endgültigen Aufgabe der bisherigen Ausbildung – wie vorliegend – später aufgibt und die frühere Ausbildung (hier den Besuch der gleichen Ausbildungsstättenart) sozusagen in einem zweiten Anlauf wieder aufnimmt, kann er hierfür gemäß § 7 Abs. 3 BAföG bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen gefördert werden. (VG Gelsenkirchen, Urteil v. 02.03.2020, Az. 15 K 2516/19)

Das zur Zahlung von BAföG-Leistungen verurteilte BAföG-Amt hatte in diesem Fall vergeblich die Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht NRW  beantragt. Folglich konnte man davon ausgehen, dass das VG Gelsenkirchen Ahmads Fall ebenso entscheiden würde und dass das BAföG-Amt keine Möglichkeit der Berufung haben würde.

In der Begründung von Ahmads Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid konnten wir auf dieses Urteil verweisen. Da schon einige Zeit vergangen war, wurde der Widerspruch mit einem Antrag auf vorläufige Leistungen verbunden.

Nachdem das BAföG-Amt mehr als acht Wochen nicht reagiert hatte, half die von INTEZ vermittelte Rechtsanwältin mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach. Das wirkte: Nach etwa vier Wochen bekam Ahmad seinen Bewilligungsbescheid. Seit seinem BAföG-Antrag waren etwa 1½ Jahre vergangen, als er endlich Geld bekam.