Nargis P.N. nahm im Herbst 2016 ihr Studium an der Ruhr-Universität Bochum auf und beantragte sofort BAföG. Nachdem das Amt für Ausbildungsförderung mehrfach Unterlagen nachgefordert und bekommen hatte, erhielt sie im Mai 2017 den Ablehnungsbescheid. Begründung:
Sie habe 2013 einen Abschluss in Geschichte an der Universität Kabul erworben. Dieser Abschluss werde einem deutschen Bachelor-Abschluss gleichgestellt. Für die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses in der BRD sei ein zweites Bachelor-Studium nicht erforderlich; sie sei an einer Berufstätigkeit in der BRD nicht gehindert.
Dass sie nicht gehindert war, irgendeinen Job auszuüben, wusste Nargis: Sie hatte ja schon als Bäckereiverkäuferin und in der Altenpflege gearbeitet. Aber ihre Bewerbungen auf Stellen für Historiker waren sämtlich abgelehnt worden – einmal mit der herablassenden Bemerkung, es sei ja „ganz schön mutig“, sich mit einem solchen Abschluss zu bewerben.
Nargis machte zunächst keinen Gebrauch von der Möglichkeit, gegen diesen Ablehnungsbescheid Widerspruch einzulegen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein deutsches Amt ihren Antrag zu Unrecht ablehnen würde. Außerdem war sie zur Zeit der Ablehnung durch die Geburt ihrer ersten Tochter in Anspruch genommen.
2018 beantragte Nargis ein Deutschlandstipendium und wurde im Herbst dafür ausgewählt. Mitfinanzierer ihres Stipendiums war INTEZ, und so kam der Kontakt zu ihr zustande. Aus ihren Bewerbungsunterlagen ergab sich die Vermutung, dass sie eigentlich BAföG-berechtigt sei. Auf Anraten von INTEZ stellte Nargis einen neuen BAföG-Antrag für das Sommersemester 2019, der erwartungsgemäß mit Verweis auf die Ablehnungsgründe von 2017 abgelehnt wurde. Mit Unterstützung von INTEZ wurde eine Anwältin gefunden, Prozesskostenhilfe beantragt, und Klage erhoben. Mit Schriftwechsel hin und her dauerte es bis zum 22. Oktober 2021, bis das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Az.: 15 K 4670/20) Nargis einen Anspruch auf BAföG zuerkannte. Aus der Urteilsbegründung:
Ziel des BAföG sei, Ausbildungen zu fördern, die zu einer Berufsausübung in Deutschland befähigen. Folglich sei ein Ausbildungsabschluss nur dann berufsqualifizierend im Sinne des BAföG, wenn er zu einer Berufsausübung in Deutschland qualifiziert. Ein ausländischer Abschluss sei nur dann als berufsqualifizierend zu berücksichtigen, wenn er einem entsprechenden inländischen Abschluss gleichwertig sei und die Aufnahme einer entsprechenden Berufstätigkeit im Bundesgebiet ermögliche. Dazu sei eine nicht nur formelle, sondern auch materielle Gleichwertigkeit erforderlich. Die Feststellung der Zentralstelle für Ausländisches Bildungswesen, dass der in Afghanistan erworbene Abschluss einem deutschen Hochschul-Abschluss auf Bachelor-Ebene „entspreche“, sei nur eine formale Zuordnung, aber keine Aussage über die materielle Gleichwertigkeit. Da das Amt für Ausbildungsförderung keine weiteren Erkenntnisse zur behaupteten Gleichwertigkeit des afghanischen Abschlusses vorgelegt habe, sei davon auszugehen, dass der Abschluss nicht die Möglichkeit eröffne, einen entsprechenden Beruf in Deutschland auszuüben.
Das entspricht der langjährigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, zuletzt im Urteil vom 8. August 2019 – 5 C 6.18.
Natürlich ist diese Rechtsprechung auch im Bochumer Amt für Ausbildungsförderung bekannt. Doch wie der Fall von Leidy zeigt, versucht man dort immer wieder, BAföG-Anträge mit Verweis auf einen im Ausland erworbenen Abschluss abzulehnen. Denn die Betroffenen können nicht wissen, dass sie aufgrund der Rechtsprechung einen Anspruch auf Studienförderung haben, obwohl der Wortlaut des Gesetzes so klingt, als ob sie keinen hätten:
Berufsqualifizierend ist ein Ausbildungsabschluss auch dann, wenn er
im Ausland erworben wurde und dort zur Berufsausübung befähigt. (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG)
Deshalb ist es so wichtig, das Gesetz zu ändern!